Bulgarische Tagelöhner

Nicht neu aber leider immer noch aktuell ist, dass ein stetig größer werdender Anteil von Arbeit Suchenden in Deutschland von Hartz4 ausgeschlossen wird. Immer mehr Menschen waren in den letzten Jahren aufgrund der Massenarbeitslosigkeit und Verarmungspolitik aus Griechenland, Portugal, Spanien u.a. nach Deutschland eingewandert und auf Arbeitssuche. Einige von ihnen hatten sich wegen finanzieller Unterstützung und Hilfe bei der Jobsuche an die Jobcenter gewandt, die ihre Anträge illegalerweise oftmals nicht annahmen. Verschiedentlich hatten wir überlegt, wie wir sie bei Durchsetzung ihrer sozialen Rechte unterstützen könnten, kannten allerdings niemand von ihnen und auf der Straße blieben die neuen EinwanderInnen in der Regel unsichtbar.

Unübersehbar und ganz anders verlief die zunehmende Einwanderung der ArbeiterInnen aus Bulgarien und Rumänien, die um ihre Arbeitskraft als Tagelöhner anzubieten, den halben Tag an verschiedenen Straßenecken Kölns auf Auftraggeber warteten, vor Supermärkten die Obdachlosenzeitung verkauften oder als FlaschensammlerInnen und BettlerInnen in der Stadt unterwegs waren. Wöchentlich war in der lokalen Presse abwechselnd über ihre Wohnungsnot, ihre Wohnquartiere im Park und Abbruchhäusern und den Unmut der AnwohnerInnen in der Nähe des Arbeiterstrichs berichtet worden. Ihre Einwanderung wurde als „Elends- oder Armutsmigration“ qualifiziert und eine Gefühlsmischung aus Bedrohung, Mitleid und Ekel zu den bulgarischen und rumänischen ArbeiterInnen schien durch die Berichterstattung verbreitet zu werden. Niemand von uns hatte Kontakt zu ihnen, aber sie waren zumindest an bestimmten Plätzen regelmäßig anzutreffen.

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Hosgeldiniz – Herzlich Willkommen bulgarische ArbeiterInnen

Am zweiten Tag unserer „Sozialen Kampfbaustelle“, am 29.9.2013, geschah tatsächlich Unerwartetes. Mittags folgte eine Gruppe von 20 bulgarischen ArbeiterInnen mit ihren Kindern unserer schriftlichen Einladung zu Kaffee und Kuchen. Vorausgegangen waren unsererseits mehrere Besuche auf dem Arbeiterstrich und eine Einladung in türkischer Sprache. Bereits in der Einladung hatten wir ausgesprochen, dass wir die ArbeitsmigrantInnen in Köln willkommen heißen, dass sie die gleichen sozialen Rechte wie alle Menschen haben sollen und dass wir gegen jegliche Zoll- und Polizeikontrollen sind. Wir hatten uns also bereits in der Einladung klar positioniert und waren überrascht, dass so viele Leute kamen.

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Anfangs stellten wir uns und unser Anliegen sie kennenzulernen vor. Wir erzählten ihnen, dass die Zeitung oft schlecht über sie schreibe, dass wir deshalb von ihnen mitbekommen hätten. Dass wir leider auch nicht so reich seien, ihnen weder Wohnungen noch Arbeit vermitteln könnten, aber gucken wollten, wie wir sie unterstützen könnten. Außerdem verteilten wir verschieden sprachige Informationsblätter der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt und der FAU über Mindestlöhne auf dem Bau und Arbeitsrechte.

Danach erzählten einige der TagelöhnerInnen, dass viele von ihnen seit Jahren in Abbruchhäusern, Autos und Parks leben und horrende Preise für ein Bett in einer Bruchbude zahlen müssten. Eine nicht angemeldete Arbeit zu finden, sei nicht ihr größtes Problem, auch wenn es immer wieder vorkäme, dass sie um ihren Lohn betrogen würden. Ihr Hauptproblem sei ihre Wohnungsnot. Eine Wohnung, die sie zum leben aber auch für eine Anmeldung bräuchten, um weniger Probleme mit der Polizei zu haben. Selbst im Park dürften sie nicht übernachten und müssten dann Ordnungsstrafen zahlen. Auf dem Wohnungsmarkt seien sie ohne nachweisbares Einkommen und ohne Adresse aber praktisch chancenlos. Jetzt käme der Winter und einige wüssten nicht, was sie weiter machen sollten, denn sie lebten ohne jegliche Sicherheit auf der Straße. Die Informationen der Gewerkschaften seien sehr wichtig für sie, denn sie hätten oftmals keine Ahnung über ihre Rechte. Für sie wären eine Informationsveranstaltung interessant, die sie in ihrer Sprache über ihre sozialen und bürgerlichen Rechte aufkläre und ebenfalls eine Hilfestellung zur Durchsetzung ihrer Rechte.

So entstand die spontane Idee, am nächsten Tag gemeinsam zur Stadtverwaltung zu gehen und zusammen „Wohnraum für Alle“ zu fordern.

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Wohnraum für Alle!

Tatsächlich tauchten am 30.9.2013, rund dreißig bulgarische Tagelöhner auf der Sozialen Kampfbaustelle auf. Mit fünfzig bis sechzig Leuten sind wir dann zum historischen Rathaus, dem Sitz des Oberbürgermeisters, gezogen, am Sicherheitsdienst vorbei gestürmt und haben Krach geschlagen. „Wir wollen Wohnraum und zwar sofort“ und siehe da, innerhalb von einer halben Stunde stand die Sozialdezernentin Frau Reker vor uns, um sich anzuhören, was die Einwanderer zu sagen hätten. Nach einigem hin und her einigten sich die Tagelöhner mit der Sozialdezernentin darauf, sich zwei Tage später zusammen zu setzen. Die Tagelöhner benannten einige von ihnen als Vertreter der Gruppe. Außerdem sollte jemand von uns dabei sein. Das wurde natürlich gefeiert. Die bulgarischen Tagelöhner waren genauso erleichtert und glücklich wie wir. Es war wahrscheinlich das erste Mail, dass ihnen überhaupt mal jemand aus einer Behörde zugehört hatte. Der Rückweg zur ‚Baustelle‘ verlief als lautstarke Spontandemo durch die Stadt und auf dem Platz vor dem Kölner Dom kam es zu spontanen Redebeiträgen in bulgarischer und deutscher Sprache.

Treffen der Sozialdezernentin Reker mit einer Delegation bulgarischer TagelöhnerInnen

Am frühen Mittwochabend (2.10.2013) dann der Hammer: Draußen vor dem Rathaus rund vierzig Männer, Frauen und Kinder aus Bulgarien und Rumänien und einige Leute von der Kampfbaustelle. Drinnen im Rathaus hat sich Frau Reker zu dem Treffen Verstärkung geholt. Der Chef vom Ordnungsamt Kilp, der leitende Polizeidirektor Behrendes, der Abteilungsleiter des Amtes für Soziales und Senioren Schumacher und zwei weitere städtische Angestellte erwarten die Delegation von TagelöhnerInnen, (3 Männer u. 1 Frau) Dolmetscherinnen und eine Vertreterin der KEAs. Die TagelöhnerInnen berichten abwechselnd über ihre beschissene Situation sowohl in Bulgarien, wo sie arbeitslos geworden sind und hier und erklären, dass ihre derzeitigen Hauptprobleme besonders angesichts des nahenden Winters ihre Wohnungsnot, die fehlende Möglichkeit zur Anmeldung und die diskriminierenden Polizeikontrollen seien.

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Die Sozialdezernentin machte die bulgarischen ArbeiterInnen ganz unverhohlen selbst für ihre Misere verantwortlich. Schließlich sei niemand dazu gezwungen, hierher zu kommen, wo es in Köln bekanntermaßen an Wohnungen mangele. Es wäre ja alleine ihre Entscheidung gewesen hier her zukommen. Die Stadt müsse Flüchtlinge aufnehmen und habe keine Wohnungen, erklärte sie. Die Möglichkeit, sich ohne festen Wohnsitz anzumelden, gelte im Übrigen nur für Deutsche. Sie könne nichts für sie tun, aber wollte ihnen mal mitteilen, dass sie in Ehrenfeld nicht weiter die Nachbarn stören sollten, in dem sie Tag und Nacht auf der Straße rumstehen und auf Arbeit warten würden. Der Polizeidirektor Behrendes ergänzt schließlich Frau Rekers Ansage an die ArbeiterInnen, in dem er ihnen erklärt, dass sie weder im Park noch auf Spielplätzen schlafen dürften und sie dann ein Ordnungsgeld zu bezahlen hätten. Auf die Frage der ArbeiterInnen, wo sie denn hin sollten wird erneut geantwortet: „Es war ihre Entscheidung von Bulgarien nach Köln zu kommen!“ Wütend verlassen alle das Rathaus und gehen zur Kampfbaustelle. Im Rathaus ist nichts erreicht worden, aber es haben sich einige Leute etwas kennen gelernt und einige Tagelöhner fragen, wo sie uns treffen können, wenn wir morgen die Zelte abbauen …

Seitdem gibt es wöchentlichen Kontakt zwischen „Wohnraum-für-alle! AktivistInnen“ und den Bulgarischen TagelöhnerInnen. Auf ein Neues!

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Trotz des niederschmetternden Ergebnisses des Gesprächs gab es noch ein paar Lichtblicke an dem Tag. Direkt am Rheinufer vor der Messe in Deutz -gegenüber dem Dom – und vom Zug gut sichtbar wurde auf einem Luxus-Appartment-Haus, das dort gerade entsteht, ein riesiges Transparent vom Dach gehängt auf dem stand: „Wohnraum für alle – Luxusbau Stopp!“ (→ https://linksunten.indymedia.org/de/node/96543 ). Außerdem soll nicht unerwähnt bleiben, dass es Tage zuvor bereits eine kleine Farbattacke auf eine Immobilienfirma gab, gegen deren Machenschaften sich einige MieterInnen wehren ( → https://linksunten.indymedia.org/de/node/96351 ).

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Quelle: Bericht der „sozialen Kampfbaustelle Köln“