Genossenschaft auf Abwegen
„Meine Genossenschaft, mein Zuhause! Seit über hundert Jahren fühlen wir uns diesem Motto, das das Mitglied und seine Wohnung in den Mittelpunkt stellt, verbunden.“ Dieser Spruch ziert die Webseite der Wohnungsgenossenschaft Köln 1896 eG.
Wohnungsgenossenschaften umgibt der Nimbus des Sozialen – leider oft zu unrecht.
Im Süd-westlichen Zipfel von Ehrenfeld steht ein Carre, das die Straßen Melatengürtel, Lindenbornstrasse, Fröbelstrasse und Weinsbergstrasse verbindet. Zwischen den Häusern befinden sich zwei Grundschulen, in der Mitte ein Park mit Spielplatz. Viele Leute, die hier leben, wohnen schon in der zweiten Generation hier, die Mieten sind für Ehrenfelder Verhältnisse sehr günstig: Manche zahlen unter 4 Euro pro Quadratmeter, in der Regel liegen die Mieten unter 7 Euro pro Quadratmeter. Die Gebäude wirken etwas eintönig, sind aber in verhältnismäßig gutem Zustand: Zentralheizung, doppelt-verglaste Fenster, Zugang zu einem Gartenbereich im Inneren.
Hier können (bzw. konnten) noch Leute leben, die in anderen Teilen von Ehrenfeld die gestiegenen Mieten längst nicht mehr bezahlen könnten.
Im November 2012 bekamen die Bewohner_innen der Häuser Lindenborstrasse 21-23 und Melatengürtel 82-100 (insgesamt 110 Wohnungen) Post von ihrer Genossenschaft. Darin werden Untersuchungen der Bausubstanz aufgeführt, unter anderem feuchte Kellerwände. Im Grunde wurden Mängel präsentiert, die eine genauere Untersuchung vermutlich bei den meisten Gebäuden in Köln ergäben.
Die Genossenschaft traf daraufhin die Entscheidung, freiwerdende Wohnungen nicht mehr zu vermieten, außerdem sei „es leider erforderlich“, dass die Bewohner_innen in eine andere Wohnung umziehen müssten, einige schon im Laufe des nächsten Jahres. Die Bewohner_innen waren in heller Aufregung, für viele brach eine Welt zusammen, die für sie mehr als eine bezahlbaren Wohnung bedeutet hatte.
Nun sollte eine Genossenschaft, deren vorrangiger Zweck eine „gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung“ ist (auch ein Spruch von der Webseite), eigentlich froh sein, dass sie so günstigen Wohnraum anbieten kann und diesen auch noch mit einer zufriedenstellenden Bausubstanz.
Solche Überlegungen sind dem Genossenschaftsvorstand jedoch offenbar nicht in den Sinn gekommen.
Der Grund für den Abriss war nicht, dass die Gebäude baulich nicht mehr sicher waren, sondern dass ein Abriss mit Neubau eine bessere finanzielle Verwertung versprach. Dafür wurden offenbar mehrere Gutachten erstellt, eines davon „zufälligerweise“ genau von dem Architekten, der jetzt auch den Neubau umsetzt. Und auch die bisherigen (uns bekannten) Kündigungen, mit denen die Genossenschaft unliebsame Mieter_innen herausklagen will, sind „Verwertungsklagen“. Dass ein Abriss sich mehr lohnt, liegt sicher auch an den günstigen Mieten, die damit der Vergangenheit angehören.
Eigentlich wäre zu erwarten, dass die Stadtverwaltung oder die Landesregierung bei dieser Sachlage intervenieren… Das haben sie auch, allerdings in ganz anderer Weise:
Es wurden Fördergelder in Millionenhöhe bewilligt, die dieses Projekt erst ermöglicht haben. Offenbar wurden dafür Gelder „umgewidmet“, die eigentlich dafür gedacht waren, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dafür sollen ca. 35 sozial geförderte Wohnungen entstehen. Das hört sich gut an, aber ein genaueres Hinsehen ergibt ein anderes Bild: Die derzeitigen Mieten liegen fast alle UNTER denen der sozial geförderten Wohnungen (7,15 Euro) und diese „sozialen“ Wohnungen machen den viel kleineren Teil des Neubaus aus. Bei den übrigen Wohnung ist von 11 Euro pro Quadratmeter die Rede. Insgesamt dürften sich nach vorsichtigen Schätzungen (derzeitige Mieten teilweise unter 4 Euro, zukünftige mehrheitlich um 11 Euro pro Quadratmeter) die Mieten insgesamt mehr als verdoppeln.
Die Fördergelder wurden dennoch bewilligt. Manche fragt sich vielleicht „Warum?“. Wir auch. Hier werden Fördergelder dafür eingesetzt, dass sich Mieten dramatisch erhöhen und Menschen aus einem Stadtteil verdrängt werden.
Wohnungsamt und Bauamt gaben übrigens auf telefonischer Nachfrage keinerlei Auskunft über ihre Förder- bzw. Genehmigungspolitik. Alles soll klammheimlich an den Schreibtischen entschieden und erledigt werden.
In der Folge zogen einige der Mieter_innen aus, manche gingen auf die Wohnungsangebote der Genossenschaft ein, die selten in der Nähe von Ehrenfeld lagen und oft teurer oder zeitlich befristet waren. Als aus dem ersten Bauabschnitt (Lindenbornstrasse und Melatengürtel 98-100) eine Mieterin nicht auf diese „Angebote“ einging, bekam sie prompt die Kündigung.
Inzwischen ist der erste Bauabschnitt abgerissen worden und es stehen nur noch die Häuser Melatengürtel 82-96. Viele Wohnungen sind bereits leer, manche wurden schon vor der Ankündigung der Genossenschaft nicht mehr vermietet.
Auch aus dem zweiten Bauabschnitt ist – soweit wir erfahren konnten – schon mindestens einer Mietpartei gekündigt worden, obwohl der Abriss erst für Ende 2015 geplant ist.
Das Vorgehen der Genossenschaft unterscheidet sich wenig von dem der üblichen Immobilienspekulanten, mit dem Unterschied, dass es eine Genossenschaft vor Gericht schwerer hat erfolgreich zu kündigen.
Die Strategie der Genossenschaft, mit allen Mietparteien „persönliche Gespräche“ zu führen, ist bisher aufgegangen.
Es sind zwar immer noch mindestens ein Drittel der Wohnungen bewohnt, aber Resignation hat sich breit gemacht und die meisten suchen ihren persönlichen Ausweg.
Dabei gab es viele Ansatzpunkte, bei denen ein Widerstand sehr erfolgversprechend gewesen wäre: Die Begründung für den Abriss war fragwürdig, die Umsetzung ist von öffentlichen Fördergeldern abhängig, andere Aktionen haben gezeigt, dass das Thema „Wohnung“ eines ist, bei dem sich sehr viele Leute solidarisieren und unterstützend tätig werden. Der Abriss hätte vermutlich verhindert werden können, wenn sich eine gewisse Anzahl von Bewohner_innen zusammengeschlossen hätte.
Für den Erhalt der Häuser Melatengürtel und Lindenbornstrasse ist es wahrscheinlich zu spät, die ersten Häuser sind bereits der Abrissbirne zum Opfer gefallen, aber andere Beispiele zeigen, dass ein gemeinsames Auftreten mit Unterstützung von außen sehr viel bewirken kann. Fragwürdige Projekte wie dieses können nur dann umgesetzt werde, wenn die Bewohner_innen in „persönliche Gespräche“ verwickelt werden, hinter den Kulissen Fördergelder und zweifelhafte Gutachten hin- und hergeschoben werden und die Öffentlichkeit von alledem nichts erfährt.
Es bleibt abzuwarten, was aus den noch verbliebenen Mieter_innen wird. Die bisherige Kündigungspolitik der Genossenschaft lässt nichts gutes ahnen. Wir werden das weiter verfolgen und vielleicht ergibt sich doch noch ein Anlass, mehr Öffentlichkeit zu schaffen.
Wir rufen alle zukünftig Betroffenen solcher Maßnahmen dazu auf, sich möglichst früh zusammenzuschließen, sich Unterstützung von außen zu holen und an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir können nicht garantieren, dass Widerstand erfolgreich sein wird, aber die Zeiten sind günstig: allen Ortens regt sich Widerstand, der selbst nach einer verlorenen juristischen Auseinandersetzung noch Aussicht auf Erfolg verspricht.
Melatengürtel in Köln-Ehrenfeld
Furcht vor dem Abrissbagger (ksta 11.7.2013)
In den Wohnhäusern am Melatengürtel 82 bis 100 sowie den angrenzenden Häusern an der Weinsberg- und der Lindenbornstraße geht die Angst um. Die Wohnungs-Genossenschaft Köln will die Siedlung abbrechen und neu bauen.
In den Wohnhäusern am Melatengürtel 82 bis 100 sowie den angrenzenden Häusern an der Weinsberg- und der Lindenbornstraße geht die Angst um. Seit die Eigentümerin, die Wohnungs-Genossenschaft Köln von 1896, angekündigt hat, dass sie den Abbruch und den anschließenden Neubau des Wohnblock plane, sind viele Bewohner verunsichert. Einige Mieter meldeten sich jetzt zu Wort. Sie wollen sich mit massivem Widerstand und juristischen Mitteln zur Wehr setzen, sollte ihnen die Wohnung gekündigt werden. Der Protest könnte das Bauprojekt, das Mitte des nächsten Jahres starten soll, erheblich verzögern.
114 Wohnungen gibt es zurzeit. Manche davon stehen bereits leer und werden nicht mehr vermietet. Für die Menschen, die noch in den Häusern wohnen, ein weiteres Indiz dafür, dass sie vielleicht bald ebenfalls ausziehen müssen. Der Sichtweise ihrer Genossenschaft, nach der sich eine Sanierung nicht lohne und daher ein Neubau sinnvoller sei, können sich viele der Bewohner nicht anschließen. Die Schäden an und in den 1930 errichteten Häusern seien so groß, dass eine Modernisierung nicht sinnvoll sei, heißt es bei der Wohnungs-Genossenschaft.
Vor allem ältere Bewohner sind besorgt
Die Bewohner der betroffenen Häuser bekamen Ende des vergangenen Jahres eine Mitteilung über das Neubauvorhaben von Genossenschafts-Geschäftsführer Norbert Kutscher. Es sind vor allem ältere Bewohner, denen das Projekt Sorge bereitet. „Was soll denn aus mir werden? Ich habe doch hier meinen Lebensmittelpunkt“, sagt Maria Gallego, die seit fast 50 Jahren am Melatengürtel lebt. Ihr Mann ist schwer krank und auf Pflege angewiesen. Erst im vorigen Jahr hat sie sich eine neue Einbauküche geleistet. Drei Monate später sei ohne Vorwarnung der Brief der Genossenschaft gekommen mit der Information über das Neubauprojekt.
Maria Gallego berichtet von Nachbarn, die noch länger hier leben und sogar die Kriegszeit mit den Zerstörungen in der Siedlung erlebt haben. „Die sind ganz arm dran, die können sich doch gar nicht wehren. Die sind doch viel zu alt dafür.“
Auch Nachbarin Gabriele Löhr ist verzweifelt. Sie wohnt seit mehr als 30 Jahren hier. Sie ist überzeugt, dass eine Sanierung möglich wäre und dass vorhandene Schäden an den Gebäuden von der Genossenschaft übertrieben dargestellt würden. „Die Keller sind überhaupt nicht feucht“, sagt Gabriele Löhr. Und erst vor wenigen Jahren seien eine Zentralheizung und neue Fenster eingebaut worden.
Dabei, so berichten Gabriele Löhr und Maria Gallego, mussten die Mieter aber selbst neue Fensterbänke einbauen lassen. Die Bewohnerinnen sind überzeugt, dass sie nur aufgrund wirtschaftlicher Interessen die Häuser werden verlassen müssen. „Dann wird bestimmt sehr viel größer gebaut. Die Vorgärten verschwinden und die Wiesen hinter den Häusern fallen sowieso der Tiefgarage zu Opfer“, fürchtet Gabriele Löhr. Einen geschlossenen Widerstand der Bewohner gibt es allerdings noch nicht.
Einvernehmliche Lösungen werden schwer
„Ich kann die Ängste absolut nachvollziehen.“, erklärt Geschäftsführer Norbert Kutscher. Er habe auch Verständnis dafür, wenn gerade die langjährigen Bewohner nicht bereit seien, in eines der angebotenen Ausweichquartiere zu ziehen. Man komme aber den Bewohnern großzügig entgegen, betont Kutscher. Bei mancher Wohnung sei vielleicht der Quadratmeterpreis höher, das werde aber bei moderneren Wohnungen durch geringere Nebenkosten aufgewogen.
Die Genossenschaft besitzt in Ehrenfeld weitere Häuser, vor allem aber in Deutz, Mülheim, Poll und Gremberg. Auch dort wurden den Ehrenfelder Mietern Ersatzwohnungen angeboten. „Was soll ich auf der anderen Rheinseite?“, fragt aber Maria Gallego. Das komme für sie schon deshalb nicht infrage, weil ihre Tochter auf dem Melatenfriedhof begraben sei.
Wie schwer es die Wohnungs-Genossenschaft haben wird, einvernehmliche Lösungen zu erzielen, verdeutlicht Jürgen Becher, Pressesprecher des Mietervereins Köln: „Ich unterstelle der Genossenschaft, dass sie nichts Böses will. Sie will ihren Bestand erneuern“, so Becher. Als Genossenschaft sei sie dabei aber auf das Wohlwollen der Mitglieder angewiesen. Weil die sich auf ein Dauernutzungsrecht berufen könnten, sei eine Kündigung nicht einfach.Wenn ein Bewohner widerspricht und Rechtsmittel einlegt, ist es Sache der Genossenschaft, die wirtschaftliche Notwendigkeit der Kündigung nachzuweisen.
Schrittweise Verwirklichung geplant
Der Mieterverein, an den sich bereits mehrere Bewohner der Siedlung am Melatengürtel gewandt haben, rät, zunächst abzuwarten und nicht vorschnell auf das Angebot einer Ersatzwohnung einzugehen. „Die Zeit ist in diesem Fall auf Seiten der Mieter“, so Becher. Im äußersten Fall müsste die Sache vor Gericht geklärt werden.
Die Genossenschaft hat vor, ihr Projekt – für das noch keine Baugenehmigung vorliegt – schrittweise zu verwirklichen. Das Eckhaus Melatengürtel 100 sowie die Häuser Lindenbornstraße 21 bis 23 würden als erste dem Abbruchbagger zum Opfer fallen. Mit den dortigen Bewohnern sei man bereits in Verhandlung über einvernehmliche Lösungen – also Umzug in andere Wohnungen.
„Wir wollen dort auch mit den Neubauten beginnen und das Projekt dann am Melatengürtel fortsetzen. Für die Häuser an der Weinsbergstraße gibt es noch gar keinen Zeitplan. Sie kämen auf jeden Fall als letzte an die Reihe“, erklärt Norbert Kutscher. Die Häuser am Melatengürtel 82 bis 98 haben noch eine „Gnadenfrist“. Sie seien, so Kutscher, „frühestens in zwei Jahren an der Reihe“.
Politik will „günstige“ Wohnungen (ksta 16.12.2013)
Abbruch und Neubau – das plant die Wohnungsgenossenschaft Köln von 1896 mit ihren Siedlungshäusern am Melatengürtel, an der Lindenbornstraße und an der Weinsbergstraße. Jetzt liegt der Verwaltung eine Bauvoranfrage vor. Damit will die Bauherrin die baurechtlichen Fragen klären lassen.
Aus der Mitteilung der Verwaltung an die Bezirksvertretung Ehrenfeld geht hervor, dass das Vorhaben baurechtlich ohne Einschränkungen zulässig sei. Es füge sich in die nähere Umgebung ein, die Erschließung sei gesichert, und das Ortsbild werde dadurch keineswegs beeinträchtigt. Es müssten aber noch einige Details geklärt werden, so die Feuerwehrzufahrt und die Auswahl des Materials und der Farben für die Fassaden. Außerdem müsse geklärt werden, wie sich die Neubauten mit dem Baudenkmal an der Lindenborstraße 19 vertragen. Das Gebäude gehört zur Grundschule Lindenbornstraße.
Alternativen für Bewohner gesucht
Die Nachfrage der Bezirksvertreter galt den derzeitigen Bewohnern der Häuser. „Hier ist die Genossenschaft um verträgliche Regelungen für Ersatzwohnungen bemüht“, versicherte Silke Rheinschmidt vom Stadtplanungsamt. Insbesondere langjährige Bewohner der Häuser sind in Sorge, dass sie die preisgünstigen Wohnungen und das vertraute Viertel verlassen müssen.
Als Genossenschaftsmitglieder können sie sich aber auf ein Dauernutzungsrecht berufen. Deswegen muss die Genossenschaft ihnen vergleichbare Alternativen anbieten. Zwischenzeitlich schaltete sich auch Bezirksbürgermeister Josef Wirges als Vermittler ein. Die Genossenschaft plant, ihr Projekt in mehreren Bauabschnitten zu verwirklichen. Das könnte die Möglichkeit bieten, dass Bewohner zunächst kurzzeitig innerhalb der Siedlung umziehen und dann in einen Neubau zurückkehren. Statt der vorhandenen 201 Wohnungen plant die Genossenschaft 220 neue Wohnungen sowie eine Tiefgarage mit 180 Stellplätzen. Den Planungsauftrag hat das Kölner Architekturbüro von Professor Ulrich Coersmeier.
Ein neues Gesicht für das Carrée
Das Neubauprojekt verteilt sich auf zwölf fünf- bis sechsgeschossige Gebäude. Sie werden dem Carrée eine vollständig neue Anmutung geben. Statt der heutigen Satteldächer werden die Neubauten Flachdächer haben. Die meisten sind so gestaltet, dass das oberste Stockwerk etwas kleiner bemessen ist und die Gebäude daher niedriger wirken als sie tatsächlich sind.
Im Innenbereich des Wohnblocks befinden sich teils privat nutzbare Flächen, aber auch ein öffentlicher Park mit einem Spielplatz. Das Amt für Kinder, Jugend und Familie wies nach der Bauvoranfrage bereits darauf hin, dass es an den Planungen für einen neuen öffentlichen Spielplatz, der mindestens eine Größe von 114 Quadratmetern haben muss, beteiligt werden möchte. Darüber hinaus müsse es auch im nur privat zugänglichen Bereich des Innenhofs eine Spielfläche geben.